12 Jahre nach der schrecklichen Reaktorkatastrophe von Fukushima hat sich Japan zu einer Kursänderung seiner Nuklearpolitik entschlossen. Langfristig ist das Ziel des Landes, dass Nuklearkraft wieder einen maßgeblichen Anteil der nationalen Stromproduktion ausmachen soll. Dafür sollen einerseits neue Reaktoren gebaut werden, aber auch alte Nuklearkraftwerke, die nach dem Fukushima-Unfall aus Sicherheitsgründen deaktiviert wurden, sollen wiederhergerichtet und eingesetzt werden. Begründet werden diese Maßnahmen mit der Notwendigkeit, CO2 einzusparen und die Energiestabilität zu sichern. 

Neue Gefahren durch AKW in Kriegsgebieten – Saporischschja wieder im Notkühlmodus

Durch die Ukrainekrise sind auch neue Gefahrenquellen für Atomkraftwerke zum Vorschein getreten. Am 08.03.2023 wurde durch die Kampfhandlungen die Stromversorgung des AKW Saporischschja beschädigt. Deshalb läuft die Notkühlung des Reaktors aktuell über Notstromdiesel. Am Standort Saporischschja war es im vergangenen Jahr notwendig, Dieselgeneratoren sechs Mal zu aktivieren, um die Kühlung aufrecht zu erhalten. Derartige Ereignisse sollten bei der Entscheidung, wieder vermehrt auf diese Technologie zu setzen, unbedingt berücksichtigt werden. 

Kernkraft im Erdbebengebiet

Besondere Vorsicht bei den Plänen Japans ist geboten, da das Land sich weiterhin in einer seismisch sehr aktiven Zone befindet. Seit dem Erdbeben von 2011 kam es in Japan zu vier größeren Erdbeben mit einer Magnitude von über 7.3. Zwei davon fanden in der unmittelbaren Nähe von Fukushima statt. (Vgl. 2011: Magnitude von 9.0.) Die Technik der Nuklearindustrie hat sich zwar angepasst und in neue Reaktoren werden verbesserte Sicherheitssysteme eingebaut. Allerdings ist dennoch nicht auszuschließen, dass es zu einem weiteren schweren Unfall kommt. Vor allem der Einsatz alter AKW über ihre ursprüngliche Laufzeit hinaus birgt in diesem Zusammenhang viele Risiken. Ein Großteil der neuen Sicherheitssysteme kann in alten Reaktoren nicht nachgerüstet werden. Dieses Problem betrifft aber nicht nur Japan. Österreichs Nachbarland Ungarn betreibt in einem aktiven Erdbebengebiet vier alte sowjetische WWER-440 Reaktoren (440 MW elektrische Leistung). Diese Anlagen besitzen weder ein Stahlbetoncontainment noch einen Core Catcher. Darüber hinaus werden an dem Standort Paks aktuell noch zwei weitere russische Reaktoren (WWER-1200) errichtet. Von internationaler Seite und Seismolog*innen wird in diesem Zusammenhang immer wieder Kritik an Ungarn gerichtet. In der Türkei werden ebenfalls russische Reaktoren in einem seismisch aktiven Gebiet errichtet. Durch das schreckliche Erdbeben im Februar 2022 kam es auch zu Erschütterungen auf der Reaktorbaustelle, welche rund 400 Kilometer vom Epizentrum entfernt ist.

Jeden Tag entstehen 100.000 Liter radioaktiv verseuchtes Wasser in Fukushima – Nachbereitung wird bis 2050 dauern

Die Entscheidung, wieder vermehrt auf Nuklearkraft zu setzen, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem weiterhin täglich große Mengen Wasser zur Kühlung in die zerstörten Reaktorkerne Fukushimas eingeleitet werden müssen. Jeden Tag entstehen am Kraftwerksgelände rund 100.000 Liter radioaktiv verstrahltes Wasser. Da es vor Ort nicht mehr ausreichend Platz für die Lagerung der Kanister gibt, wird immer wieder debattiert, mit radioaktivem Tritium verseuchtes Wasser ins Meer einzuleiten. Umweltschützer*innen der ganzen Welt fordern, dass die Wasserkanister in ein geeignetes Lager für Atommüll überstellt werden. Dies ist eine Option, die natürlich mit erheblich höheren Kosten verbunden wäre, als das kontaminierte Wasser einfach ins Meer einzuleiten.

Prognostizierte Kosten des Fukushima-Unfalls

Laut der japanischen Regierung werden die Kosten für den Unfall mit 188 Mrd. US-Dollar (178 Mrd. Euro) angenommen. Allerdings gibt es auch Berechnungen von dritter Seite (beispielsweise dem Japan Center for Economic Research), die von Kosten in der Höhe zwischen 500 Mrd. US-Dollar und 600 Mrd. US-Dollar ausgehen. Aussagen des ehemaligen Betreibers des Atomkraftwerkes (Tepco) zufolge ist davon auszugehen, dass die Nachbereitung des Unfalls noch weitere 30 Jahre (bis 2050) in Anspruch nehmen wird.

2030 sollen 22 Prozent des produzierten Stroms in Japan aus AKW stammen

Von politischer Seite wurde das Ziel formuliert, dass 2030 22 % des produzierten Stroms in Japan mittels Atomkraft produziert werden soll. Wenn bedacht wird, dass die Bauzeit eines neuen westlichen Reaktorsystems aktuell mit 15 bis 20 Jahren anzunehmen ist, kann dieses Ziel nur mit dem neuerlichen Einschalten bereits deaktivierter AKW gelingen.

Alte Reaktoren sollen wieder eingesetzt werden

Im Anschluss an den Unfall von Fukushima 2011 wurden schrittweise alle Atomkraftwerke Japans vom Netz genommen und mussten sich einer ausführlichen Überprüfung und gegebenenfalls einer Erneuerung unterziehen. 2018 waren nur zwei der japanischen Reaktoren am Netz und lieferten einen Beitrag zur japanischen Stromproduktion von nur einem Prozent. Von politischer Seite wurde zu diesem Zeitpunkt noch von einem kompletten Ausstieg Japans aus der Atomenergie gesprochen. In den folgenden Jahren wurde allerdings mehreren AKW die Erlaubnis zum Wiederanfahren erteilt. Bis Ende 2022 konnten zehn der insgesamt 54 Reaktoren eingesetzt werden. Im Jänner 2023 erhielten sieben zusätzliche Reaktoren die Bewilligung, ihren Betrieb wiederaufzunehmen und zehn weitere Reaktoren werden aktuell von der Atomaufsichtsbehörde überprüft. Somit muss es als realistisch betrachtet werden, dass mittelfristig bis zu 27 AKW in Japan eingesetzt werden können.

Lebensdauerbegrenzung alternder AKW wurde abgeschafft

Ursprünglich wurde 2013 als Reaktion auf die nukleare Katastrophe gesetzlich festgelegt, dass die Laufzeit von Atomkraftwerken, welche ursprünglich für 40 Jahre anberaumt wurde, nur auf maximal 60 Jahre erweitert werden darf. Dies hat den Hintergrund, dass Kernreaktoren mit fortschreitendem Alter anfälliger für Gebrechen werden und somit das Unfallrisiko drastisch steigt. Im Februar (13.02.2023) wurde dieses Gesetz geändert. Nun gibt es keine maximale Laufzeit für Kernkraftwerke mehr. Sofern alle 10 Jahre mittels einer Überprüfung der sichere Betrieb nachgewiesen werden kann, dürfen AKW so lange eingesetzt werden, wie der Operateur es möchte. Durch die Möglichkeit, die Reaktoren länger im Betrieb zu haben, steigt die Rentabilität der Anlagen. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Gefahr von Unfällen und technischen Gebrechen mit dem zunehmenden Alter von AKW signifikant zunimmt.

Gefahren im Langzeitbetrieb alternder Kernreaktoren

Wissenschaftliche Studien von Nuklearexpert*innen weisen immer wieder auf die Gefahren hin, die mit dem langfristigen Betrieb alternder Kernkraftwerke verbunden sind. Vom materialwissenschaftlichen Standpunkt aus ist es fraglich, ob derart alte Reaktoren tatsächlich den notwendigen Sicherheitsstandards noch gerecht werden können. Beispielsweise können viele Sicherheitssysteme, die für einen neuen Reaktor Standard sind, bei alten Reaktoren nicht nachgerüstet werden (unter anderem ein Containment aus Stahlbeton oder ein Core Catcher). Außerdem können viele Komponenten, die für die Sicherheit des Reaktors essenziell sind, nicht ausgetauscht werden, wie zum Beispiel der Reaktordruckbehälter.

Neue Reaktoren sollen bis 2040 errichtet werden

Japan plant auch neue Reaktoren zu errichten, die in den 2030er-Jahren ans Netz gehen sollen. Genauere Informationen über die Anzahl der Reaktoren und welche Reaktorsysteme gebaut werden sollen, gibt es noch nicht. Anzunehmen ist jedoch, dass ein Teil der Neubauprojekte auf Großkraftwerke abzielen wird, da Mitsubishi 2022 ein neues Kraftwerkskonzept (SRZ-1200) für einen Leichtwasserreaktor mit 1200 MW elektrischer Leistung vorgestellt hat.

Japan setzt wieder auf Atomkraft, aber Wien vergisst Fukushima nicht!, Rathauskorrespondenz vom 09.03.2023

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