Ramona Cech, Wiener Umweltanwaltschaft

In der Donaustadt nahe der Deponie Rautenweg befindet sich zwischen Thujagasse und Azaleengasse/Agavenweg ein wahres Naturjuwel - der ehemalige Verschiebebahnhof Breitenlee. Was sich jetzt erstmal nicht nach Naturparadies anhört, bietet Lebensraum für selten gewordene Arten, ungeahnte Kostbarkeiten und zählt zu einer meiner Lieblings-Gstett‘n mit pulsierendem Leben und ganz eigenem Flair.

gstettn bahnhof breitenlee1 kleinDer Bau des Verschiebebahnhofes wurde nie vollendet und 1930 wurden Bauwerke und Gleiskörper schrittweise wieder demontiert. Lediglich von der Natur langsam zurückeroberte Brückenpfeiler, Gleise und andere verfallene Baulichkeiten erinnern an die ehemaligen menschlichen Aktivitäten. Trampelpfade, Asthütten und leider auch Hundekot sind weitere Hinweise auf den derzeitigen Einfluss des Homo sapiens.

Das Areal ist Teil des Landschaftsschutzgebietes Donaustadt, ist ein wichtiger Wanderkorridor für Wildtiere und ein tolles Naherholungsgebiet für Groß und Klein. Hier darf die Natur noch Natur sein. Ich war bereits des Öfteren vor Ort auf Erkundungstour, jedoch entdecke ich jedes Mal wieder etwas Neues. An sonnigen Tagen werden der Duft diverser Kräuter und Blüten, die sich sanft im Wind wiegenden Gräser, Blätter und Zweige sowie die unglaubliche Vielfalt an durch die Luft tanzenden Schmetterlingen mit Vogelgesängen und Gezirpe untermalt. Es ist ein wahrlich traumhafter Ort, der einen vergessen lässt, dass man sich unweit von einer Großstadt befindet. Der Kaisermantel, der große Feuerfalter, der blauäugige Waldportier, Mauerfuchs, Segelfalter, der kleinen Schlehenzipfelfalter, das gelbe Ordensband - sie alle und noch viele mehr freuen sich in dieser Naturoase ihres Lebens.

Vereinzelt stehende, tote Bäume werden gerne von Greifvögeln als Ansitzwarte genutzt und bieten sicherlich auch Unterschlupf für diverse Baumhöhlennutzer oder Holzfresser. Insektenkundler*innen jubeln über geschützte Arten wie die europäische Gottesanbeterin, die italienische Schönschrecke, die blauflügelige Ödlandschrecke und viele weitere Arten. Auch die imposante Wespenspinne freut sich über die ein oder andere Heuschrecke, die ihr unvorsichtig ins Netz springt.

kaisermäntel kleinZwar haben es sich vor Ort mittlerweile einmal wieder der invasive Götterbaum, die kanadische Goldrute und die Robinie gemütlich gemacht, jedoch fühlen sich dort auch zahlreiche heimische und bedrohte Arten wohl. Das Gebiet wird teils durch Ruderalvegetation (rudus bedeutet “Schutt”) charakterisiert: Diese beinhaltet schnellwachsende Pflanzen, die sich auf ehemals vom Menschen genutzten und stark veränderten Standorten zuallererst ansiedeln, wie beispielsweise die schönen, wilden Karden, der gewöhnliche Natternkopf, die gemeine Wegwarte, Rispen-Flockenblumen oder Königskerzen. Die aufgezählten Pflanzen sind wahre Insektenmagnete, was man auch sofort sehen kann. Auch Pioniergehölze, biodiversitätsfreundliche Schlehen, Liguster, Weißdorne und Hundsrosen. bereichern die Fläche. Streng geschützte und sehr seltene Pflanzen wie die Spatzen-Zunge, der Späte Bitterling, Acker-Schwarzkümmel, Ästiger Bergflachs, das Helmknabenkraut, der geschützte Feldmannstreu, echtes Federgras sowie artenreiche subpannonische Steppentrockenrasen und Trockenrasen mit Ohrlöffel-Leimkraut und Co lassen das Botaniker*innnen-Herz höherschlagen.

zauneidechse kleinZu meiner Freude zeigen sich auch ab und zu Reptilien wie die Zauneidechse oder die Blindschleiche, die sich gerne am Trampelpfad sonnen und bei Annäherung in die dichte Vegetation flüchten. Die Männchen der Zauneidechse weisen während der Paarungszeit an den Flanken ein unwiderstehliches, grünes Schuppenkleid auf, während Weibchen und Jungtiere im braunen Tarnanzug unterwegs sind - alle aber sind mit den charakteristischen “Augenflecken” seitlich am Körper verziert.

Ein weiteres Highlight für mich als Pilzliebhaberin war das auffällig hohe Vorkommen von Austernseitlingen in bewaldeten Abschnitten - dieser begehrte Speisepilz ernährt sich von Totholz.

Ich kann nur jedem einen Besuch dieser Gstett‘n wärmstens ans Herz legen. Wann ist der beste Zeitpunkt?: Es bieten sich wohl zu (fast) jeder Jahreszeit tolle Entdeckungen und Naturschauspiele - diese Naturoase wird definitiv nie langweilig. Die Fläche lädt auch zum Gassi Gehen mit dem Vierbeiner ein, allerdings bitte das Hundekot-Sackerl nicht vergessen oder die Sackerl-Spender im Umfeld nutzen, ansonsten kommt es zu einer zunehmenden Nährstoffanreicherung des Bodens mit negativen Folgen für die dortige, kostbare Artenvielfalt.

© Fotos: Ramona Cech

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