Die beiden traurigen Gedenktage zu 10 Jahre Fukushima und 35 Jahre Tschernobyl nimmt die WUA zum Anlass, um über einige andere – nicht so bekannte - verheerende Unfälle der Nukleargeschichte zu berichten.

Teil 2: Harrisburg (Pennsylvania, USA), 1979

Im Jahr 1968 wird in der Nähe von Harrisburg (PA) in den USA mit dem Bau des ersten Reaktors für das Atomkraftwerk Three Mile Island begonnen, im folgenden Jahr ist der Baubeginn für den zweiten Reaktor. Bei den beiden Reaktoren handelt es sich um Druckwasserreaktoren mit einer thermischen Leistung von rund 2600 MW. Jeder der beiden Reaktoren soll eine elektrische Leistung von 880 MW zur Verfügung stellen können. Die Technik der Reaktoren ist erprobter Standard, nicht nur zur Zeit ihrer Errichtung. Auch heute sind etwa acht von zehn weltweit in Betrieb befindlichen Reaktoren Druckwasserreaktoren, die nach demselben Prinzip wie die Anlagen von Three Mile Island funktionieren und großteils auch in derselben Bauperiode errichtet wurden.

Der Reaktor Three Mile Island 1 geht 1974 in Betrieb, der Block 2 folgt mit etwas Verspätung. Am 27.03.1978 wird auch in Block 2 die erste Kettenreaktion gestartet. Beide Blöcke blicken zum Zeitpunkt ihrer Inbetriebnahme einem 40-jährigen Betrieb mit der Aussicht auf Verlängerung um 20 Jahre entgegen. Für Three Mile Island 2 soll nur ein Jahr und wenige Stunden zwischen der ersten Kritikalität und der permanenten Stilllegung, wie es in der Reaktordatenbank der IAEA auch für etwa das KKW Fukushima heißt, vergehen.

Am 28.03.1979 um 4 Uhr morgens Ortszeit kommt es auf Grund einer Fehlansteuerung zum Schließen eines Ventils im nicht-radioaktiven Teil der Anlage (Sekundärkreislauf). Dieser Teil erzeugt den Dampf, der die Wärme vom nuklearen Teil weg in die Turbinen führt. Da nun die Pumpen kein Wasser mehr erhalten, schalten sie ab. Die Dampferzeuger werden nicht mehr mit Wasser versorgt, daraus resultiert, dass die Wärme der Reaktoren von der Primärseite (dem nuklearen Bereich) der Anlage nicht mehr abtransportiert werden kann. Die Steuerung der Anlage bemerkt diesen Zustand und imitiert eine Schnellabschaltung des Reaktors. Alle Regelstäbe werden schnellst möglich und vollständig in den Reaktor eingefahren, die Kettenreaktion kommt innerhalb von Sekunden zum Erliegen. Der Reaktor hat durch die Nachzerfallswärme aber immer noch eine Leistung von über 150 MW. Die Nachzerfallswärme nimmt zwar exponentiell ab, so dass die Leistung nach einer Stunde nur noch etwa 30 MW betragen wird, allerdings reicht sie ohne entsprechende Kühlung noch über dutzende Monate aus, um die Brennstäbe zum Schmelzen bringen zu können.

Um diesen Vorgang zu verhindern gibt es die Ersatzpumpen. Drei von ihnen gehen in Betrieb, aber kein Wasser fließt. Der Grund liegt in den geschlossenen Ventilen der zugehörigen Leitungen. Sie sind alle wegen Wartungsarbeiten geschlossen. Ein Zustand der eigentlich regelwidrig ist, zumindest eines sollte betriebsfähig sein. Betrachtet man an dieser Stelle die viel beschworene Redundanz aller Systeme in Atomkraftwerken und die Auslöser ganz vieler, kleiner, üblicher Vorfälle bis INES 1 und unterhalb der INES-Skala, so sieht man, dass von drei redundanten Notfall- oder Ersatzsystemen fast immer zumindest zwei gerade wegen Wartungsarbeiten nicht verfügbar sind.

Der Druck im Reaktor steigt sehr rasch an (Minuten!) und bei 155 bar Überdruck im Primärkreislauf öffnet das Sicherheitsventil, um zum Druckabbau eine Tonne Dampf pro Minute ins Druckabbausystem abzublasen. Wenn der Druck unter den Auslösewert sinkt, schließt das Ventil automatisch, deswegen gibt es auch keine Anzeige, in welcher Stellung sich das Ventil tatsächlich befindet. Die vorhandene Anzeige gibt nur Auskunft über den Schaltzustand der Steuerung des Ventils. Da der Druck gesunken ist, steht die Steuerung und ihre Anzeige auf „geschlossen“. Tatsächlich ist das Ventil hängen geblieben, es steht offen. Dampf aus dem Primärkreislauf strömt weiter in die Kondensationskammern, das Kühlwasser im Reaktor verdampft. Der Reaktor läuft mit immer weniger Kühlung. Um 4:11Uhr läuft die Kondensationskammer über, um 4:15 Uhr ist der Druck im betroffenen System so hoch, dass das Überdruckfenster birst und die radioaktive Flüssigkeit sich ins Containment ergießt. Durch die inzwischen geöffneten Ventile der Hilfspumpen fließt nun Wasser. Die einzige Anzeige die Auskunft über den Füllstand des Primärkreislaufes gibt, befindet sich im Druckhalter. Ein Kessel, der sich an einer hohen und heißen Stelle befindet und in dem sich demnach aller Dampf des Kreislaufes sammeln sollte. Durch das unbemerkt offene Überdruckventil kühlt der ausströmende Dampf aber diese Stelle ab. Der neu entstehende Dampf sammelt sich nicht hier, sondern im immer heißer werdenden Reaktor, während die Anzeigen im Kontrollraum einen mit Wasser übervollen Kühlkreislauf anzeigen. Die Techniker stoppen die Zufuhr von frischem Wasser im Primärkreislauf, um ein Volllaufen des Druckhalters zu verhindern. Nach etwa zwei Stunden laufen die Zirkulationspumpen auf Grund des weiter entstehenden Dampfes trocken, man schaltet sie ab, um eine natürliche Konvektion in Gang zu setzen. Wenig später fallen unbemerkt die oberen Teile der Brennstäbe trocken. Die Kernschmelze beginnt.

Um 6:45 Uhr erreicht endlich das hoch kontaminierte Wasser im Containment die Sonden, die gemessene Aktivität liegt um das 300-fache über dem erwarteten Wert. Zunächst wird für die Anlage der Notstand erklärt, keine halbe Stunde danach für die Region um das Kraftwerk. Ohne die Bevölkerung im Vorhinein zu informieren, wird radioaktiver Dampf in die Umwelt abgelassen, um die Integrität der Containments, der letzten Barriere des Atomkraftwerks, zu erhalten. Die Daten des Druckverlaufs lassen später auf eine Wasserstoffexplosion schließen. Die äußerste Hülle hält aber. Etwa sechs Stunden nach dem Beginn des Unfalls wird wieder Wasser in den Reaktor eingespeist, weil klar wird, dass die verschiedenen Messwerte nicht mit dem angenommenen Zustand der Anlage vereinbar sind. Nach 16 Stunden sind Druck und Dampf soweit unter Kontrolle, dass die Hauptkühlmittelpumpen ihre Arbeit wiederaufnehmen können und die Temperatur im Reaktor fällt. Erst nach Wochen, als der Reaktor geöffnet werden kann, wird den Verantwortlichen klar, dass der Brennstoff frei gelegen war, die Hüllrohre und etwa die Hälfte des Brennstoffs geschmolzen sind. Dass unter diesen Umständen der Reaktor nicht erneut von selbst in den Zustand der Kettenreaktion übergegangen ist (eine Rekritikalität entstanden ist) ist ausschließlich dem Zufall zuzuschreiben. Der Unfall wird als INES 5 klassifiziert.

Offiziell ist alles gut gegangen, etwas mehr als einen Tag nach dem Beginn des Unfalls wird Entwarnung gegeben. Die Untersuchungskommission wird noch im selben Jahr die Freisetzung mit 480 PBq radioaktive Edelgase 481–629 GBq Jod-131 beziffern, ein minimaler Teil des Inventars von rund 370 EBq. Betrachtet man die offizielle Freisetzung, so sind keine signifikanten Gesundheitsauswirkungen zu erwarten. Gleichzeitig wird in einer fundierten medizinischen Studie eine signifikant erhöhte Krebsrate in einem zehn Meilenradius um das Atomkraftwerk in den Jahren 1979 bis 1985 festgestellt. Die Freisetzungen müssten dafür um einen Faktor 100 höher gelegen haben als angegeben.

Unbestritten ist, dass etwa 2 Million Menschen - wenn auch nur leicht erhöhte - Dosen durch den Unfall aufgenommen haben.

Sicher ist auch, dass wie in den USA üblich, eine außergerichtliche Einigung mit den Betroffenen erzielt wird. Ein paar Million Dollar erkaufen den Rechtsfrieden. Der Reaktor Block 1 wird für drei Jahre außer Betrieb genommen und danach trotz starker Proteste der Bevölkerung wieder in Betrieb genommen. 2009 wird die Lizenz für den Betrieb von Block 1 um 20 Jahre bis 2034 verlängert. Seit etwa 2010 kann die Anlage nicht mehr gewinnbringend Strom produzieren. 2015 verliert Three Mile Island eine Ausschreibung zur garantierten Einspeisung ins Stromnetz. 2019 wird die Anlage stillgelegt, da Pennsylvania sich, trotz massiven Lobbyings, genauso wie das benachbarte Ohio, weigert, KKW durch permanente Subventionen weiter am Netz zu halten.

Bis 1993 wurden fast eine Milliarde Dollar für den Rückbau von Block 2 ausgegeben. Der verbleibende Rest soll gemeinsam mit Block 1 rückgebaut werden, in Zukunft, wenn die Strahlung weiter abgenommen haben wird und natürlich aus ökonomischen Gründen.

Mehr Informationen:

Wing, S.; Richardson, D.; Armstrong, D.; Crawford-Brown, D. (January 1997). "A reevaluation of cancer incidence near the Three Mile Island nuclear plant: the collision of evidence and assumptions". Environ Health Perspect. 105 (1): 52–57

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