Die beiden traurigen Gedenktage zu 10 Jahre Fukushima und 35 Jahre Tschernobyl nimmt die WUA zum Anlass, um über einige andere – nicht so bekannte - verheerende Unfälle der Nukleargeschichte zu berichten.

Teil 1: Windscale (Cumbria, UK), 1957 

In Windscale, das heute unter dem Namen Sellafield bekannt ist, befanden sich im Jahr 1957 zwei Reaktoren, Pile 1 und 2, mit einer thermischen Leistung von je 180 MW, die zur Herstellung von Plutonium für das britische Atomwaffenprogramm betrieben wurden. Die Anlage befindet sich in unmittelbarer Nähe des weltweit ersten, kommerziellen Strom produzierenden Kernkraftwerks Calder Hall. Im Gegensatz zu den ausschließlich für die Atomwaffenherstellung 1950 in Betrieb genommenen Anlagen Pile 1 und 2, produziert die Anlage Calder Hall seit 1956 neben Plutonium für die Kernwaffenherstellung, als Abfallprodukt, auch Strom für die britischen Haushalte. Die Rede Dwight D. Eisenhowers zu Atoms for Peace vor der UN-Vollversammlung 1953 hatte Wirkung gezeigt.

Pile 1 und 2 sind Graphit-moderierte und luftgekühlte Anlagen. Auf Grund der starken Bedenken eines Ingenieurs und seiner Unterstützung durch den Nobelpreisträger John Cockcroft werden noch in der Bauphase der Anlagen auf den Kaminen Filter montiert. Die Filter hören bald auf den Namen Cockcrofts Follies (Cockcrofts Torheiten). Durch Neutronenbeschuss entstehen in Graphit, und Pile 1 besteht aus etwa 2000 Tonnen Graphit, Versetzungen in der Struktur des Materials, die teilweise, wenn sie ein gewisses Ausmaß erreicht haben, spontan unter der Abgabe von Wärme wieder in den ursprünglichen Zustand zurückfallen. Der Effekt ist nach seinem Entdecker, dem Physiker Eugene Paul Wigner benannt. In Windscale begegnet man dem Wigner-Effekt, in dem der Reaktor in regelmäßigen Abständen über 250 °C erhitzt, um die Rücksetzung der Versetzungen künstlich und relativ kontrolliert auszulösen.

Auch am 7. Oktober 1957 wird die Erwärmung des Reaktors Pile 1 ausgeführt, um die im Graphit gespeicherte Wigner Energie freizusetzen. Nach drei Tagen, als der Vorgang beendet sein sollte, steigt die Temperatur weiter. Die Messgeräte zeigen an, dass Radioaktivität über den Kamin und Cockcrofts närrischen Filter, der in der Folge etwa 95 % der Freisetzung zurückhalten soll, freigesetzt wird. Ein Blick in die Inspektionsöffnung des Reaktors zeigt den im Bereich des Brennelementkanals 2053 bereits kirschrot glühenden Graphit. Die Freisetzung stammte also nicht von einem gebrochenen Brennelement, das Brennelement brannte. Der Versuch das Brennelement mit den vorgesehenen Stangen aus dem Reaktor ins Kühlbecken zu stoßen scheiterte, das Element klemmte bereits fest, die Stangen schmelzen. Die umgebenden Brennelemente klemmen ebenfalls fest und sind bereits von der Glut erfasst. Kühlversuche mittels der Belüftungsanlage heizen den Brand weiter an, Löschversuche mit rund 25 Tonnen flüssigem CO2 bleiben erfolglos. Am Morgen des 11. Oktober zeigen noch funktionierende Geräte eine Temperatur von 1300 °C. Da es nur noch eine Frage von wenig Zeit bis zum endgültigen Versagen der gesamten Reaktorstruktur ist, entschließt man sich trotz der Gefahr von Wasserstoffexplosionen beziehungsweise der Bildung von Acetylen, Wasser zur Kühlung in den Reaktor einzuleiten. Die Maßnahme führt zwar zu keiner Explosion, sie ist aber auch nicht in der Lage das Feuer zu löschen. Erst mit der weitest möglichen Unterbindung der Luftzufuhr und der weiteren Kühlung mit Wasser, kann das Feuer beendet werden.

Am Nachmittag des 12. Oktober 1957 ist der Brand gelöscht. Jetzt wird die Bevölkerung in der Umgebung darüber informiert, dass es einen Zwischenfall gegeben hat. Auf einer Fläche von 500 km2 wird in der Folge die Milch gesammelt und in der Irischen See entsorgt. Während des Unfalls gelangen nach ersten Schätzungen 740 TBq Jod-131, 22 TBq Cäsium -137 und 12 PBq Xenon-133 in die Umwelt. Der weitaus größere Teil wird im Filter zurückgehalten, andernfalls weite Teile Nordenglands heute unbewohnbar wären. Viele Jahre später wird bekannt, dass während des Feuers auch relevante Mengen Polonium -210 ihren Weg in die Umwelt gefunden haben. Neuere Abschätzungen sprechen von 900 bis 3700 TBq Jod-131, 280 bis 6300 TBq Tellur-132, 90 bis 350 TBq Cäsium-137, etwa 0,2 bis 3,1 TBq Strontium-90 und 14 bis 110 TBq Polonium-210 und 8 bis 80 PBq Xenon-133 die freigesetzt wurden.

Der Unfall wurde (auf Grund der relativ geringen Freisetzung) als INES 5 klassifiziert, ist aber in Hinblick auf den brennenden Kern als einer der schwersten Unfälle der Geschichte zu sehen. Das Ende der Aufräumarbeiten ist für 2040 geplant. Heute geht man davon aus, dass der Unfall mehrere hundert Todesopfer unter der Bevölkerung gefordert hat. Die öffentliche Aufarbeitung des Unfalls in Großbritannien hat erst Jahrzehnte nach dem Unfall begonnen.

Weitere Informationen in englischer Sprache

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